Ölfarbe als Künstlermedium
Ölfarbe auf Leinwand“, „Öl auf Leinen“ oder einfach nur „Öl“ – kaum eine Materialangabe wird häufiger und leichtfertiger zur Klassifizierung von Gemälden bemüht. Ein klassisches Gemälde wie die beispielgebende Landschaft von Martin Georg Peter Feddersen von 1896 (Abb. unten) verdeutlicht eindrucksvoll die technischen Möglichkeiten der Ölmalerei, aus denen der Künstler schöpfen kann. Intensiv deckende Farben liegen dicht neben lasierenden transluziden Bereichen, harte Kanten und weiche Übergänge sind parallel möglich. Die Transparenz der Farbe erwirkt ein reflektierendes Tiefenlicht, das dem Bild eine lebendige Leuchtkraft verleiht.
Aufgrund der Mischbarkeit ist jede auch noch so geringe Farbnuance herstellbar. Mit der spontanen Primamalerei und der Mischbarkeit durch Schichtüberlagerung auf dem Gemälde selbst kann die Farbe auch stärker als formgebendes Element eingesetzt werden. Die Elastizität des Bindemittelsystems ermöglicht dem Künstler die Verwendung eines leichten textilen Bildträgers (in diesem Fall Leinwand). Die Widerstandsfähigkeit und das weitgehend kalkulierbare Alterungsverhalten machen die Ölfarbe zu einem idealen Medium, das Kunstwerke Jahrhunderte überdauern lässt. Nicht ohne Grund haben sich Ölfarbe und Ölmalerei in unserem Kulturkreis als wichtigstes Malsystem der Staffeleimalerei etabliert. Unser Sehen und unser Kunstverständnis wurde und wird durch diese Technik geprägt. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte, die Herstellung, die Inhaltsstoffe und ihr Alterungsverhalten ist daher durchaus lohnenswert.
Malfarbe der Staffeleimalerei besteht immer aus einem Farbmittel und einem Bindemittel. Als Farbmittel bezeichnet man ein farbgebendes Mittel, das nicht im verwendeten Malmittel löslich ist. Diese unlösbaren Pigmentkörner kommen zum Beispiel als Erden und Mineralien in der Natur vor oder sie werden synthetisch hergestellt. Durch mechanische Aufbereitung werden sie in vermalbare Größe gebracht und fast pulverisiert. Farbumwandlungen sind durch thermische oder chemische Nachbehandlung möglich. Farbtragende Lösungen, zum Beispiel Lacke, werden Farbstoffe genannt. Aus Farbstoffen können durch Verlackung einer farblosen Matrix ebenfalls Pigmente gewonnen werden. Um Pigmente dauerhaft auf einem Bildträger aufzubringen, wird ein Bindemittel benötigt.
Diese flüssige, klebende Substanz bindet die Farbkörner in eine mehr oder weniger geschlossene Schicht ein. Je nach Bindemittel verändern die Pigmente ihr Erscheinungsbild. Eine Leimfarbe (Pigmente und Leim) klebt die Farbkörner nach Verdunsten der Feuchtigkeit eher auf der Oberfläche des Bildträgers fest. Die einzelnen Körnchen liegen, in der Vergrößerung, offen nebeneinander. Das so entstandene raue Oberflächenrelief reflektiert auftreffendes Licht diffus. Die Leimfarbe erscheint matt und leicht milchig. Ähnliche Phänomene finden sich bei mageren Temperafarben und Kaseinfarben. Acrylfarben trocknen glänzender, also auch filmbildender, jedoch mehr opak auf. Ölbindemittel hingegen bettet die Pigmentkörner in eine dauerhafte Filmschicht ein. Der Lichtbrechungsindex verändert sich. Auftreffendes Licht dringt tief in die Farbschicht ein, wird an den Pigmentkörnern gebrochen und am Untergrund reflektiert. Die Oberfläche der Malerei erscheint gesättigt und transparent tiefer (Abb.).
Namen im Text
Max Doerner (1870–1939), Professor an der Akademie der Bildenden Künste in München,Verfasser u. a. des kunsttechnischen Standardwerkes: „Malmaterial und seine Verwendung im Bilde“, Leipzig 1921.
Max Jakob Friedländer (1867–1958), Kunstwissenschaftler, Direktor Gemäldegalerie Berlin,Verfasser u. a. des Buches: „Von Kunst und Kennerschaft“,Oxford, 1955.
Kurt Wehlte (1897–1973), Professor an den Kunstakademien Dresden, Berlin, Karlsruhe und Stuttgart,Verfasser u. a. des kunsttechnischen Standardwerkes: „Werkstoffe und Techniken der Malerei“, Ravensburg 1967.
Giorgio Vasari (1511–1574), Architekt,
Hofmaler der Medici und Biograph florentinischer Künstler,Verfasser u. a.
des Werks: „Le Vite dei’ piú eccelenti architetti, pittori et scultori italiani, da Cimabue insino a’ tempi nostri“, Florenz, Torrentino, 1550.
Rudolf Pracher (1910-1994), Malermeister, Kirchenmaler und Restaurator der ersten Stunde. Verfasser zahlreicher maltechnischer Schriften wie z.B. „Lasur-, Kammzug- und Durchziehtechniken“, 1937, „Möbelbemalung: Erhaltung alter Volkskunst durch alte und neue Handwerkstechniken“, 1938 sowie der Überarbeitung von Cornelius Hebings „Vergolden und Bronzieren“, 1981.
Geschichte der Ölfarbe
Seit dem 12. Jahrhundert sind Öle als Bindemittel für Farben in Quellenschriften (Traktate über die Malerei) nachweisbar. Wurde südlich der Alpen hauptsächlich Walnussöl verwendet, so kommt nördlich der Alpen fast ausschließlich Leinöl, später auch Mohnöl zur Anwendung. Wann sich die Ölfarbe in ihrer uns vertrauten Form durchgesetzt hat, liegt jedoch im Dunklen. Giorgio Vasaris Angabe, die Ölmalerei gehe auf eine Erfindung von Jan van Eyck zurück, ist mittlerweile widerlegt worden. Es wird heute angenommen, dass die Entwicklung der Ölfarbmalerei Ergebnis eines sehr langen Prozesses war, der im 15. und 16. Jahrhundert einen Höhepunkt erreichte. Van Eycks Genie ist also nicht auf die Findung und Perfektionierung einer neuen Technik zurückzuführen und zu reduzieren. Vielmehr muss eine Modifizierung der alten, vorhandenen Technik für ihn unumgänglich gewesen sein, da, so Max Friedländer, „die überlieferten Mittel nicht seiner Vision entsprachen“. Die maltechnische Entwicklung der Ölmalerei ist selbst heute keineswegs abgeschlossen. Mit jeder Künstlergeneration verändert sich die Anforderung an die Farbe, auf die die Industrie reagieren muss. Wurden traditionell zur Herstellung von Ölfarbe nur sogenannte trocknende Öle wie Nussöl, Leinöl oder Mohnöl verwendet, so werden in den heutigen fertigen Tubenölfarben je nach Hersteller auch zusätzlich verschiedene halbtrocknende Öle in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen und Anteilen beigemischt. Häufig werden zudem zur Stabilisierung Naturharzlösungen beigefügt. Um dem Künstler definierte Trocknungszeiten garantieren zu können, sind die meisten Ölfarben vorsikkativiert.
Die Ölfarben werden in Tuben angeboten und sind direkt gebrauchsfertig zu verwenden. Nichttrocknende Ölsorten wie Olivenöl, Mandelöl oder auch tierische Öle werden bei längerem Luftkontakt lediglich ranzig, bleiben flüssig und bilden keinen festen Film aus. Die klassische manuelle Farbherstellung vom Mittelalter bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war ein sehr aufwendiger Prozess, für den sorgfältige Vorbereitung von Nöten war. In den in Werkstätten organisierten Kunstbetrieben wurde die Herstellung und Aufbereitung der Farbpigmente von den sogenannten Farbknechten übernommen, sie hatten die Aufgabe, die Steine, Glasfritten und Erden zu zerkleinern, mit Wasser oder Alkohol anzuteigen und auf einer Anreibeplatte mit einem Läufer (Abb.) so lange zu reiben, bis die gewünschte Kornfeinheit erreicht war. Die Gefahr lag hierbei aber auch darin, dass manche Pigmente wie Malachit und Smalte bei zu feiner Zerkleinerung ihre Farbintensität wieder verlieren. Der genaue Zeitpunkt ist ausschlaggebend. Farbpigmente von guter Qualität waren stets sehr teuer und oft schwer verfügbar. Je nach Budget konnte ein Auftraggeber also auch die Pigmentverwendung bestimmen.Man zeigte seinen Reichtum und Einfluss nicht allein durch die Darstellung sondern auch durch die Wahl von seltenen und teuren Malmaterialien. Auch wenn diese Statussymbole für uns heute nur noch schwer nachvollziehbar sind,wurden sie in damaliger Zeit durchaus als Demonstration von weltlicher oder kirchlicher Macht verstanden.
Heute sind im Handel nahezu alle Pigmente bereits gemahlen verfügbar (Abb.). Zur traditionellen manuellen Herstellung von Ölfarben können diese direkt verarbeitet oder auch weiter per Hand angerieben werden, um ein noch besseres Farbverhalten zu erreichen. Je nach Korngröße benötigt ein Pigment mehr oder weniger Bindemittel, um komplett in einer Schicht eingebettet zu sein. In der Regel brauchen dunkle Pigmente, aufgrund feinerer Mahlung und damit einer größeren Oberfläche, mehr Bindemittel als helle Pigmente. Dieser Umstand bereitet gerade Anfängern oft einige Schwierigkeiten. Zuwenig Bindemittel lässt die Fläche matt erscheinen, zuviel führt zu maltechnisch bedingten Schäden wie Frühschwundrissen oder Runzelbildung in der Farbschicht.
Das Bindemittel der Ölfarbe besteht, wie schon erwähnt, aus einem trocknenden Öl wie Leinöl, das aus den Samen des Flachses gewonnen wird. Im Herstellungsprozess werden die Samen der Pflanze gesäubert und gepresst. Schleimstoffe werden entfernt, das Öl entsäuert und durch Bleichung aufgehellt. Chemisch gehört Leinöl zur Klasse der Ester. Es besteht aus Glycerin und teilweise ungesättigten Fettsäuren. Hauptbestandteile sind Linolensäure, Linolsäure und Ölsäure, weiterhin Stearin- und Palmitinsäure. Der Trocknungsprozess wird maßgeblich durch die Linolensäure und die Linolsäure bestimmt. Durch Beimischungen und Zuschlagstoffe können die Eigenschaften des Öls stark verändert werden. Zu den gängigsten Malmitteln zählten damals wie heute Balsamterpentin zur Trocknungsverlangsamung, Terpentinöl oder Testbenzin zur Verdünnung der Farbe, und Trockenstoffe, die Sikkative, zur Beschleunigung der Trocknung.
Balsam aus Maracaibo
Balsamterpentin zählt zu einem der ältesten rezenten Harze in maltechnischer Verwendung. Es wird durch Anbohren von Kiefern, Lärchen, Tannen oder Fichten gewonnen. Aus dem zähflüssigen Harz kann durch Destillation flüchtiges ätherisches Terpentinöl gewonnen werden. Zurück bleibt Kolophonium, das in der Musik zur Erhöhung der Haftung des Bogenhaares bei Streichinstrumenten zur Verwendung kommt. Sowohl Balsamterpentin als auch Terpentinöl werden zur Verdünnung der Ölfarbe aber auch zur Trocknungsverzögerung eingesetzt. Zwischen Ende des 19. bis in das 1. Drittel des 20. Jahrhunderts war Maracaibo Kopaivabalsam eines der beliebtesten Malmittel.
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Frischer Ölfarbe beigemischt, erhöht es die Vermalbarkeit, aufgrund der weichen Farbübergänge wurde es gerühmt. Es wurde zur Sättigung der Malschicht, zur Festigung von Malschollen und zur „Regenerierung“ sogenannter Malschichtkrepierungen eingesetzt. Nach einiger Zeit wurden jedoch die katastrophalen Folgen der Verwendung offenbar. Da das ätherische Kopaivabalsamöl einen sehr hohen Siedepunkt besitzt, kann es sich praktisch nicht verflüchtigen. Einmal in das Malschichtgefüge eingebracht, wirkt es als permanenter Weichmacher der Farbschicht. Frische Ölfarben können nicht hart werden, ältere werden angeweicht. Die Farben beginnen zusammenzufließen. Ganze Bereiche können abrutschen. Zudem neigt Kopaivabalsam zu starker Dunklung (Abb.). Viele Gemälde wurden so unwiederbringlich zerstört.
Bei den trocknungsbeschleunigenden Sikkativen handelt es sich um metallhaltige Verbindungen zum Beispiel mit Cobalt, Eisen, Blei oder Manganseifen, die katalytisch die Oxidation der trocknenden Öle beschleunigen. Metallhaltige Pigmente können ebenfalls zur Trocknungsbeschleunigung beitragen. Einige maltechnisch bedingte Schäden an Gemälden, Oberflächenphänomene und spezifische Malschichteigenschaften erklären sich aus dem Trocknungsvorgang der Ölfarbe. Der Trocknungsprozess der angeteigten Ölfarbe läuft zuerst physikalisch und dann chemisch durch Oxidation ab. Physikalisch bedeutet in diesem Fall, dass ein gelöster Stoff durch Verlust des Lösemittels zu fester Form erstarrt. Chemisch bedeutet in diesem Fall, dass sich der Stoff durch Umwandlung der Stoffzusammensetzung verfestigt.
Farbe mit Elastizität
Bei der physikalischen Trocknung verflüchtigen sich beigefügte Lösebeziehungsweise Verdünnungsmittel wie Testbenzin oder auch Terpentinöl aus der Farbe. Die Farbmasse wird insgesamt fester. In einem zweiten Schritt setzt die chemische Trocknung ein, die die Ölfarbe zu einem dauerhaft stabilen und sehr robusten Malmedium macht. Die chemische Trocknung läuft in zwei Phasen ab. Im „ersten Stadium“ der Trocknung nimmt Leinöl bis zu 28 Prozent seiner Eigenmasse an Luftsauerstoff auf. Es kommt zu einer Volumenzunahme. Die Malschicht schiebt sich wellenförmig zusammen (sog. Runzelbildung). Im weiteren Verlauf der Trocknung, des „zweiten Stadiums“, setzt durch Vernetzung eine Volumenabnahme ein. Es kann zu einer frühzeitigen Rissbildung kommen. Erst wenn eine Vernetzung der Molekülketten vollständig stattgefunden hat, kann man von einer durchgetrockneten Farbschicht sprechen. Der Trocknungsprozess kann sich über Jahre hinziehen, bei ungünstiger Pigment- und Malmittelwahl auch über Jahrzehnte. Als Negativbeispiel können die Gemälde des Münchner Historismus vom Ende des 19. Jahrhunderts genannt werden. Durch die Verwendung von brauntonigen Asphaltfarben konnten manche Farben bis heute nie stabil auftrocknen. Ölfarbe besitzt, selbst bei völliger Durchtrocknung, immer noch eine gewisse Elastizität. Sie kann die Materialbewegungen von Bildträger und Grundierung bis zu einem hohen Grad kompensieren.
Erst nach Überschreitung des Elastizitätspunktes kommt es zum Bruch, zur Craquelébildung, zur Schollenbildung und im ungünstigsten Fall zum Ausbruch der Farbe.
Ölfarben neigen zum Gilben. Zurückzuführen ist dies auf die Bildung von gelben Oxidationsprodukten im Trocknungsprozess. Frisch gemalte Ölgemälde, die im Dunklen aufbewahrt wurden, neigen zur Ausbildung einer sogenannten Primärgilbung. Diese lässt jedoch bei normaler Lichtexposition nach. Irreversibel hingegen ist die Altersgilbung.
Sie wird jedoch kaum als tatsächliche Farbveränderung wahrgenommen. Meistens sind Vergilbungen auf älteren Ölfarben auf eine starke Oberflächenverschmutzung und eine Firnisvergilbung zurückzuführen. Zum Mischen der Farben wurden bereits schon vor dem 15. Jahrhundert Paletten (Abb.) verwendet. An ihrer Form hat sich bis heute nicht viel geändert. Zuerst besaßen sie einen Stielgriff, später, wie bei den abgebildeten Paletten, ein Daumenloch zum sicheren Halt im Malprozess. Die Auswahl der Farben auf der Palette ist individuell vom Künstler abhängig. Historische Darstellungen belegen aber die Sparsamkeit der Palettenfarben. Künstlerpaletten geben immer Auskunft über Charakter und Temperament des Malers. Eine bei Wehlte erwähnte Faustregel besagt: „Je kleiner der Maler, desto größer die Palette“. Dies bezieht sich natürlich auf die Anzahl der Farben und auf den disziplinierten Umgang mit der Palettenordnung.
Die vergleichsweise langsame Trocknung fordert natürlich vom Künstler eine dementsprechende vorausplanende und kontinuierliche Malweise. Christian Schad (1894– 1982) arbeitete beispielsweise mit bis zu sechzig Lasurschichten aus Ölfarbe und somit auch mit sechzig Trocknungsphasen, um dem Material seine Bildidee abzuringen. Über Tizian wird die Verwendung von dreisig bis vierzig Lasurschichten bezeugt. Dadurch entstehen Effekte, die durch kein anderes Malmedium erreichbar sind. Die Ölmalerei wird zurecht als Königsdisziplin der Malerei bezeichnet. Sie eröffnet schier unendlich viele alte aber auch neue gestalterische Möglichkeiten und fordert von jedem Maler, durch persönliche Erweiterung der maltechnischen Grenzen, Meisterschaft ein.
Martin Pracher