Papier: Hadern mit Hadern

Papier als Kunstmaterial und Informationsträger ist seit dem Mittelalter ein wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil unserer Kultur. Die Empfindlichkeit und Fragilität des Materials bereitet dem Sammler und Archivar jedoch große Schwierigkeiten. Einige grundlegenden Begriffe und Vorgänge der Papieralterung sollen hier erläutert werden.
Der Name Papier leitet sich von „Papyrus“ ab. Papyrus wurde seit dem 4.–3. Jahrtausend vor Christus als Beschreibstoff in Ägypten verwendet. Zur Herstellung dienten die geschnittenen und geglätteten Markstreifen der Papyrusstaude. In späterer Zeit wurde der Papyrus durch das erstmals im 4.–5. Jahrhundert nach Christus im kleinasiatischen Pergamon (heute Bergama in der Türkei) verwendete Pergament abgelöst. Als „echtes Pergament“ bezeichnet man geschabte, gedünnte und geölte Tierhäute die, im Gegensatz zum Leder, nicht gegerbt sind. Bis weit über das 12. Jahrhundert hinaus war Pergament der dominierende Beschreibstoff in Europa. Erst dann gelangte die eigentlich chinesische Technik der Papierherstellung durch die Araber nach Spanien und Sizilien und konnte sich von dort aus im ganzen Abendland verbreiten. Zur Papierherstellung im Mittelalter wurden ausschließlich sogenannte Hadern verwendet. Der Grundstoff „Hadara“, althochdeutsch für Lappen, bestand aus gesammelten Lumpen und Stoffresten, die zerkleinert und aufgeschlossen mit Handsieben aus der Bütte geschöpft, gegautscht und getrocknet wurden. Die ansässigen Papiermühlen hatten genau abgesteckte Gebiete, in denen die Lumpensammler, also die „Haderlumpen“ für sie tätig waren. Aufgrund des im Laufe der Zeit ansteigenden Bedarfs an Papier und der doch relativ geringen Verfügbarkeit des Rohstoffes Hadern wurde schon früh nach Wegen gesucht, andere, verfügbarere Materialien zur Herstellung hinzu zu ziehen.
 

Abb.1 Hanna Nagel,„Die Spanierin“, Tusche und Wasserfarbe auf Büttenpapier
Abb.1 Hanna Nagel,„Die Spanierin“, Tusche und Wasserfarbe auf Büttenpapier

Abb. 2 Unterlagekarton des nebenstehenden Aquarells
Abb. 2 Unterlagekarton des nebenstehenden Aquarells

Mit der Erfindung des Holzschliffes im Jahre 1844 gelang der entscheidende Durchbruch,der den Weg zur industriellen Massenproduktion ebnete. Der Faserstoff, die Pulpe, wird durch das mechanische Zerkleinern von Holz an großen Schleifsteinen gewonnen. Durch die herstellungsbedingte Kurzfasrigkeit sowie durch die schädigenden und instabilen Holzrückstände Lignin und Polyose sind Holzschliffpapiere jedoch von geringer Qualität und Haltbarkeit. Den eigentlichen stabilen Kernstoff des Papiers bildet die Zellulose. Ab den 1850er Jahren konnten erstmals in einem aufwendigen chemischen Verfahren aus Holz reine Zellulosefasern, nämlich Zellstoff, gewonnen werden. Heute versteht sich Papier als Oberbegriff zahlreicher Unterarten und Variationen. Je nach Verwendungszweck werden heute dem Fasergrundstoff zahlreiche Hilfsmittel wie zum Beispiel Füllstoffe, Farbstoffe, Bindemittel, Weichmacher oder optische Aufheller beigefügt. Entscheidend für die dauerhafte Stabilität und Haltbarkeit eines Papiers ist also der Kernstoff Zellulose. Die Elastizität und die gleichzeitige Festigkeit des Papiers hängt im allgemeinen von der Länge und der Verfilzung der Zellulosestränge ab. Wird die Zellulose abgebaut beziehungsweise geschädigt, wird das Papier brüchig und zerfällt.
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Die Schäden werden durch innere und äußere Faktoren ausgelöst. Als innere Faktoren gelten die Faserqualität, Hilfsstoffe, Beimischungen und produktionsbedingte Rückstände im Papier, die aufgrund ihrer ungünstigen Eigenschaften den Zelluloseabbau begünstigen oder auslösen können. Äußere Faktoren gehen meist auf die Handhabung und den Umgang mit dem Papier zurück. Dies können einerseits mechanische Einwirkungen wie Knicke, Rollungen, Faltungen, Risse oder Stauchungen sein, andererseits direkte oder indirekte Kontakte wie zum Beispiel mit Licht, Feuchtigkeit, Fetten, Säuren, Mikroorganismen aber auch Schreibund Kunstmaterialien (Tinten, Farben, Metallklammern etc.). Oftmals greifen die inneren und äußeren schädigenden Faktoren so ineinander, daß eine klare Trennung nicht mehr möglich ist. Der Strukturabbau des Papiers, also der Zellulose, beruht chemisch hauptsächlich auf zwei ineinandergreifenden Vorgängen: der Spaltung der Zellulosestränge unter Einwirkung von Wasser (Hydrolyse) und dem Abbau und der Vernetzung der Zellulosefasern untereinander (Oxidation). Die Hydrolyse (Spaltung) bewirkt eine Herabsetzung der Festigkeit und Elastizität. Die Oxidation (Abbau und Vernetzung) führt zu einer Versprödung und Verdichtung des Papiers. Ein Beispiel: bei zwanzig Grad Celsius und einer relativen Luftfeuchte von fünfzig Prozent besitzt ein Papier durchschnittlich fünf bis sechs Prozent Materialfeuchte. Wird die Feuchtigkeit herabgesetzt (unter 40%rF), verliert das Papier an Elastizität und wird spröde. Erhöht sich der Wassergehalt, setzt die oben genannte hydrolytische Spaltung ein. Feuchtigkeiten über 65 Prozent relativer Luftfeuchte begünstigen zudem die Schimmelbildung.
 
Abb. 3 Brief, Bamberg, 1833, Tinte auf holzfreiem Papier
Abb. 3 Brief, Bamberg, 1833, Tinte auf holzfreiem Papier

Ein weiteres häufig zu beobachtendes Phänomen ist die Lichtschädigung. Licht bewirkt besonders bei holzschliffhaltigen Papieren eine schnelle Vergilbung und Verbräunung. Diese ist auf das enthaltene Lignin zurückzuführen. Im weiteren Verlauf versäuert das Papier und wird brüchig. Behandlungen im Herstellungsprozeß wie beispielsweise Massenleimungen (im 19. Jh. z.B. mit saurem Aluminiumsulfat), aber auch Füllstoffe im Papier wirken sensibilisierend auf die Faser und können so auch bei dem sonst relativ lichtstabilen holzfreien Papier Vergilbungen hervorrufen. Je nach Zusammensetzung des Lichtes treten auch Bleichungen auf. Selbst künstliches Licht bewirkt im Papier Veränderung. Auch hier wirkt die Lichtstärke kumulativ zur Beleuchtungsdauer (fünfzig Stunden mit hundert Lux wirken wie hundert Stunden mit fünfzig Lux).Neben der Beeinträchtigung des Papiers selbst wirkt Licht besonders schädigend auf die aufgebrachten, meist gering gebundenen Farbmittel (etwa Ausbleichen von Aquarellfarbe). Wärme beschleunigt die Alterungsprozesse um ein Vielfaches. Direktes Sonnenlicht löst so neben den photochemischen Vorgängen auch thermische Reaktionen aus. Besonders schädigend wirkt die Versäuerung auf Papier. Wie schon erwähnt tritt sie einerseits durch Holzschliff, andererseits durch Hilfsstoffe im holzfreien Papier auf. Im natürlichen Alterungsprozeß tritt sie bei der Oxidation durch Luftsauerstoff auf. Bei einem pH-Wert unter 5,0 (0 bis 7 ist sauer, 7 ist neutral, 7 bis 14 ist basisch) setzt wiederum die Spaltung und Umwandlung der Zellulose ein.
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Problematisch sind besonders bei Graphiken und Zeichnungen auch säurehaltige Kontaktmaterialien wie zum Beispiel Aufbewahrungsmappen, Passepartouts, Papierklebebänder oder minderwertige Rückseitenkartons. Anhand von vier Beispielen sollen einige häufig auftretende Phänomene erläutert werden: Auf dem holzschliffhaltigen Unterlagekarton (Abb. 2) markieren sich die Umrisse der aquarellierten Tuschezeichnung (Abb. 1). Die hell erscheinenden Bereiche zeigen eine geringere Vergilbung als der umliegende Rest der Kartonage. Die Vergilbung basiert einerseits auf der erhöhten Lichtexposition der unter den unbemalten Flächen liegenden Bereiche, andererseits auf verstärkten oxidativen Vorgängen. Die aufgetragene Malfarbe auf dem Büttenpapier fungiert als Sperrschicht gegen äußere Einflüsse, die bis auf, und durch den Unterlagekarton wirken. Das holzfreie Briefpapier von 1833 (Abb. 3) unterliegt in der Regel keiner derart ausgeprägten Verbräunung. Das intakte Schriftstück wurde vor etwa 15 Jahren durch einen „Fachmann“ montiert. Der Brief wurde umlaufend und entlang der Falze mit gummiertem Papierklebeband hinterlegt. Als Unterlagekarton diente eine stark holzschliffhaltige Pappe. Das saure Milieu der Kartonage bewirkt im Briefpapier eine Verbräunung und Versprödung. Das Papierklebeband fungiert auch hier als Sperrschicht gegen die Säurewanderung. Durch die starke Spannung des Klebebandes sind die versprödeten Mittelbereiche gerissen. Das Dokument ist weitgehend zerstört.
 
Abb. 5 Herrenporträt, Bleistift mit Bleiweißhöhung auf Papier, um 1860
Abb. 5 Herrenporträt, Bleistift mit Bleiweißhöhung auf Papier, um 1860

Der Bildträger (Abb. 5) ist flächig verbräunt, da es sich um holzschliffhaltiges Papier handelt. Ehemalige Weißhöhungen mit Bleiweiß wirken durch die verdunkelte Umgebung unnatürlich hell und stören die Komposition nachhaltig. Die Bildaussage ist verfälscht. Die geringere Verbräunung der umlaufenden Randbereiche beruht auf einer Verschattung durch den Rahmenfalz. Treten die Weißhöhungen (Abb. 5) unnatürlich hell zu Tage, liegen sie bei dem Aquarell vom Ende des 18. Jahrhunderts (Abb. 4) als schwarze Flecken vor. In wässrigem Bindemittel wandelt sich Bleiweiß durch Luftverunreinigungen (Schwefelwasserstoff) in das schwarze Bleisulfid um. Die Schwärzung kann durch eine Behandlung mit Wasserstoffperoxyd umgewandelt werden (schwarzes Bleisulfid wird so zu weißem Bleisulfat). Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Alterungsverhalten und somit die Schädigung von Papier auf folgenden allgemein geltenden Grundlagen beruht: Die Dauerhaftigkeit und Altersstabilität von Papieren hängt von der Qualität, der Zusammensetzung und der produktionsbedingten Behandlung des Grundstoffes ab (Qualität und Quantität der Zellulose, Beimischungen, Hilfsstoffe und Oberflächenbehandlung). Je nach Umfeld und Handhabung läuft der Alterungsprozess schneller oder langsamer ab.
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Abb. 4 Galante Szene, Aquarellfarbe mit Bleiweißhöhung und Seidenstickerei auf holzfreiem Papier, Ende 18. Jh. (alle Abbildungen Martin Pracher)
Abb. 4 Galante Szene, Aquarellfarbe mit Bleiweißhöhung und Seidenstickerei auf holzfreiem Papier, Ende 18. Jh. (alle Abbildungen Martin Pracher)

Schädigend wirken äußere Faktoren wie Feuchtigkeit (hydrolytische Spaltung, Abbau der Zellulose, Mikroorganismen wie Schimmelpilze). Trockenheit führt zu Versprödung, Wärme beschleunigt die Alterung, schädliche Lichteinflüsse verursachen Vergilbung oder Bleichung, Versäuerung und den Abbau der Zellulose. Unsachgemäße Kontaktmaterialien wie zum Beispiel Klebebänder, holzschliffhaltige Passepartouts, Kartonagen etc. gefährden ebenso wie mechanische Beeinträchtigungen, die durch Knicken, Falzen oder Rollen entstehen und Risse oder Stauchungen herbeiführen. Um Schädigungen vorzubeugen oder sie wenigstens zu minimieren, sollten Kunstwerke auf Papierträgern in klimatisch stabilem Umfeld aufbewahrt und präsentiert werden (fünfzig Prozent relative Luftfeuchte, zwanzig Grad Celsius Raumtemperatur). Die Lichtexposition sollte so gering wie möglich gehalten, das heißt die Lichtstärke (circa fünfzig Lux) und die Beleuchtungsdauer sollte möglichst reduziert werden. Zur Lagerung und Rahmung dürfen nur alterungsbeständige, säurefreie Materialien verwendet werden. Direkte Kontaktflächen mit schädigenden Materialien gilt es unbedingt zu vermeiden. Das gilt ebenso für Spannungen durch die Montierung. Es versteht sich in diesem Zusammenhang von selbst, daß verwendungsbedingte Belastungen minimiert werden sollten, hierzu zählt beispielsweise das Blättern der Buchseiten oder das Auf- und Zufalten von Schriftstücken.
 
 

Übersicht PapierSorten

Hier finden Sie EINE AUSWAHL AKTUELLER UND HÄUFIG VERWENDETER PAPIERSORTEN

Büttenpapier: Handgeschöpftes holzfreies Hadern- oder Zellstoffpapier, das einen unregelmäßigen Büttenrand zeigt und meist mit einem Wasserzeichen versehen ist.

Ingrespapier: Nach dem Maler Ingres benanntes,gefärbtes, meist holzfreies Papier mit grober Körnung. Handgeschöpft oder maschinell hergestellt, weist es die charakteristischen grobmaschigen Linien des Siebgitters und einen Büttenrand auf.

Museumskarton: Sammelbezeichnung für weitgehend alterungsbeständige Kartonagen. Es darf kein Holzschliff oder Altpapier enthalten sein. Eine gewisse Luft und Wasserdampfdurchlässigkeit muß gegeben sein.

Pappe,Katonage: Pappen sind aus mehreren Lagen gepreßte Bögen mit hoher Steifigkeit, die meist von minderer Qualität sind. Kartonagen liegen in Flächengewicht, Steifigkeit und Dicke zwischen Pappe und Papier.

Pergament: Gedünnte und geschabte Tierhaut (z. B. Esel, Schwein, Rind), die im
Gegensatz zu Leder nicht gegerbt wird. Durch Ölung wird eine Beschreibbarkeit erreicht.

Pergamentpapier: Papier mit pergamentähnlichen Eigenschaften und Aussehen. Zur Herstellung werden Zellstoffpapiere in Schwefelsäure getaucht. Durch eine Art Verhornung und Schrumpfung im Trocknungsprozeß erhält das Blatt sein charakteristisches Aussehen. Saure Bestandteile werden neutralisiert.

Pergaminpapier: Fein gemahlenes holzfreies Papier,das durch Satinage (Glättung durch Papier- und Metallwalzen) durchsichtig gemacht wird.

Recyclingpapier: Mischpapier aus Altpapier. Die Graufärbung geht auf Rückstände der Druckfarben zurück.

Transparentpapier: Hochwertiges, holzfreies Papier, das durch lange und schonende Mahlung transparent gemacht wird. Durch Oberflächenleimung wird die Beschreibbarkeit erhöht.

Velin: Gleichmäßig strukturiertes Papier, das ein feinteiliges Siebmuster aufzeigt.

Zeitungspapier: Holzschliffhaltiges (bis zu 85%) Papier mit geringer Leimung und geringem Flächengewicht.

Zigarettenpapier: Poröses, leichtes und stark füllstoffhaltiges (über 30%) Papier. Durch zusätzlich beigegebene Hilfsstoffe wird die Brennbarkeit dem Tabak angepaßt.

M. PRACHER